Urteilsfähigkeit

Bedeutung der Urteilsfähigkeit und Zumutbarkeit bei Verweigerung

Bei 10 bis 15-jährigen Kindern wird der Urteilsfähigkeit bei Kontaktverweigerung im Allgemeinen und der Verweigerung von Erinnerungskontakten EriK im Besonderen ein hoher Stellenwert beigemessen. Daher stellt sich die Frage, ob das renitente Kind in Bezug auf die Massnahme urteilsfähig ist. Da eine richterliche Anhörung nicht geeignet ist, diesen Sachverhalt zu ermitteln, drängt sich zumindest die Vollstreckung des Vorgesprächs auf.

Im Rahmen des Vorgesprächs soll die Perspektive vom aktuellen Kindeswohl auf die weitere Entwicklung und ein längerfristiges Wohlbefinden erweitert werden. Darüber hinaus ist Folgendes sicherzustellen oder psychoedukativ darauf einzuwirken:

  • Das 10 bis 15-jährige Kind kann rational verstehen, warum es Kenntnis seines Elternteils haben sollte.
  • Die Begründung des Kindes muss nachvollziehbar sein, warum es seine Einstellung zum Elternteil nicht mittels minimaler Begegnungen mit der Realität abgleichen will.
  • Das Kind kann alternative Möglichkeiten zur Realitätskontrolle in Bezug auf den Elternteil gegeneinander abwägen. Es kann die Folgen beurteilen, die sich aus den verschiedenen Möglichkeiten ergeben, inkl. des vollständigen Kontaktabbruchs.
  • Das Kind ist fähig, die Konsequenzen aus seiner Ablehnung zu tragen.
  • Die Willensbekundung des Kindes in Bezug auf die Fragestellung beziehungsweise die Einwilligung zu EriK ist nicht von Emotionen beeinflusst, welche auf den Bereich des Kontakts zum Elternteil wirksam sind, wie z.B. Angst, Scham, Schuld, Abwehr von Unlustgefühlen.

Die zwangsweise Durchsetzung von regelmässigen Eltern-Kind-Kontakten zur Herstellung oder Pflege einer Eltern-Kind-Beziehung ist allein deshalb nicht zulässig, weil Beziehung nicht erzwungen werden kann. Im Fall von EriK stellt sich diese Frage nicht, weil es sich eben gerade nicht um einen Umgang handelt, der die Pflege oder Herstellung einer freien und lebendigen Eltern-Kind-Beziehung beinhaltet.

Wie im Einzelfall die Verhaltens- oder Einstellungsveränderung des renitenten Jugendlichen in Bezug auf EriK bewirkt werden soll, kann nicht vorgeschrieben werden. Die grösste Herausforderung im Umgang mit der Massnahme bezieht sich auf die Information durch die anordnende Behörde und die aus psychologischer Sicht zwingenden Vorgespräche mit den Beteiligten durch die mit der Durchführung der EriK betrauten Fachperson.

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